Grüne Grundsatzprogramme - 1980,1993 und 2002
Das Grundsatzprogramm als solches ist schon immer mehr für uns Grüne gewesen, als eine bloße Auflistung von Zielen und Forderungen. Es ist so etwas wie unsere verschriftlichte grüne Wurzel, darin findet sich unsere Geschichte und Zukunft, schreibt Michael Kellner in seinem Debattenbeitrag.
In unserer Parteigeschichte haben wir bisher drei Grundsatzprogramme verabschiedet. 1980 zur Gründung der Partei, 1993 bei der Fusion von Bündnis 90 mit den Grünen und 2002 während der Regierungsbeteiligung im Bund. Alle drei Programme verraten bis heute jeweils viel über die damalige Zeit und vielleicht noch mehr über die damaligen Grünen.
Als wir 1980 unser erstes Programm „Das Bundesprogramm“ diskutierten, war die Welt noch eine völlig andere. Die Mauer trennte die Bundesrepublik von der DDR, die Parteienlandschaft war übersichtlich und unser Programm haben wir damals noch mit Schreibmaschine getippt. Wir Grünen waren ein wilder Haufen aus unterschiedlichsten Bewegungen, Ideologien und Zielen mit dem nicht minder wilden Vorhaben, die Welt grundlegend zu ändern. Von Menschen aus K-Gruppen, Öko- und Friedensaktivisten sowie Frauenrechtler*innen zu erwarten, einen gemeinsamen Nenner zu finden, war ein ehrgeiziges und unverdrossen optimistisches Unterfangen.
Schon der erste Satz des ersten Grundsatzprogramms, zeigt unseren damaligen Anspruch: „Wir sind die Alternative zu den herkömmlichen Parteien.“ Wir wollten das bundesdeutsche Parteiensystem aufbrechen – es kannte bis dahin ja gerade mal drei Fraktionen –, wir wollten Themen und Stimmen im parlamentarischen Raum Gehör verschaffen, die es bis dahin nur auf der Straße gab: Ökologie, Anti-Atomkraft, Frieden, Menschenrechte, Frauen, Lesben und Schwule sowie sozialer Ausgleich auch mit dem globalen Süden standen im Mittelpunkt grüner Politik. Unser Hauptaugenmerk lag auf der Erkenntnis, dass die Ressourcen auf diesem Planeten endlich sind. Und unser Rezept zur Beteiligung all der Ausgegrenzten war schon damals: mehr Demokratie und Teilhabe für alle.
Auf 47 Seiten, mit gerade einmal zwei Seiten Präambel forderten wir die Bonner Republik heraus. Mit einer aktivistischen und emotionalen Sprache verkündeten wir die Grundwerte der neu entstehenden Partei. Bei einigen Kapiteln mussten wir damals sogar noch den Hinweis „In Bearbeitung“ in Klammern setzen, weil wir uns zu machen Fragen noch keine gemeinsame Meinung gebildet hatten. Doch das störte nicht, mit großen Fotos und im Magazinstil sollte das Programm die Leute interessieren und zur Diskussion anregen. Und das hat es. Die Debatten in und um die Grüne Partei rissen auch in den Jahren nach dem Grundsatzprogrammbeschluss nicht ab. Helmut Kohl, einer der damaligen Lieblingsgegner der Grünen, meinte, „Wir müssen die Grünen aussitzen“. Es kam anders, wir Grünen haben am Ende Helmut Kohl ausgesessen.
13 Jahre später war die Welt eine andere geworden. Die Mauer war gefallen, die beiden Deutschlands waren vereinigt. Mit der Allianz zwischen den westdeutschen DIE GRÜNEN und dem ostdeutschen BÜNDNIS 90 wurden wir zu einer echten gesamtdeutschen Partei. Während sich viele der anderen Parteien ihre ostdeutschen Partnerorganisationen einfach einverleibt hatten, wurde der Zusammenschluss von Bündnis 90 und den Grünen demokratisch erstritten durch das Erarbeiten eines neuen gemeinsamen Grundkonsenses 1993.
Gerade für die Westgrünen kam der Zeitpunkt einer kritischen Betrachtung der eigenen Strukturen und politischen Arbeit genau richtig, saß der Schock über die herbe Niederlage bei der Bundestagswahl 1990 doch tief. Bei der ersten Bundestagswahl im wiedervereinigten Deutschland schafften es damals nur Bündnis 90 und die Ostgrünen in den Bundestag. Die Westgrünen scheiterten an der Fünf-Prozent-Hürde. Der Zusammenschluss beflügelte die gesamte Partei, von den jeweils anderen Erfahrungsschätzen der ost- wie westdeutschen Grünen konnte jede der beiden Seiten profitieren. Die Bürgerrechtler*innen aus dem Osten, die den Realsozialismus erlebt hatten, schärften den grünen Blick für die Universalität der Menschenrechte. Und die Emanzipationsbewegungen des Westens, die sich in der Grünen Partei zusammengefunden hatten, ergänzten das Streben nach individueller Freiheit und Selbstbestimmung. Der Zusammenschluss bedeutet für manche jedoch auch einen Realitätsschock: So mancher West-Grüne musste sich von seinen romantischen Vorstellungen über den Sozialismus verabschieden. Statt der Systemfrage trat in den 90er Jahren immer stärker das Projekt eines vereinigten Europas in den Mittelpunkt grüner Politik – Ost wie West.
Vor dem Hintergrund der historischen Situation ist der Textcharakter des Grundkonsenes von 1993 ein anderer als der des ersten grünen Grundsatzprogramms. Der Text ist in Paragraphenform geschrieben, ein grünes Gesetzesblatt zur Verdeutlichung der Grundprinzipien von Bündnis 90/Die Grünen. Die insgesamt 70 Paragraphen sind vielleicht nicht das emotionalste Werk unserer Partei, dafür aber das klarste. Der Grundkonsens ist kein Manifest, sondern diente als Fundament grüner Politik in einer neuen Welt.
Das dritte Grundsatzprogramm der Grünen „Die Zukunft ist Grün“ von 2002 be- und verarbeitet unsere Beteiligung an der rot-grünen Bundesregierung von 1998 bis 2005.
Der erste Satz des Programms ist kein knackiger Wahlspruch, sondern eher ein feierlicher Offenbarungseid: „Im Mittelpunkt unserer Politik steht der Mensch mit seiner Würde und seiner Freiheit.“ Dabei ist die deutliche Bezugnahme auf die Präambel des Grundgesetzes kein Zufall. Es ist das Bekenntnis zur Demokratie und den in der Verfassung niedergeschriebenen Grundrechten, die auch uns als Grundlage unseres Handelns dienen. Damit wurden wir von der „Anti-Parteien-Partei“ zu einer die bundesdeutsche Demokratie gestaltende Reformpartei. Die Form des Programms unterschied sich erneut deutlich von den beiden Vorgänger-Texten: Auf 181 Seiten (inklusive 9 Seiten Stichwortregister) gaben wir den Leser*innen einen umfassenden Fahrplan grüner Politik. Analytisch, lösungsorientiert, mit klaren Begriffen entlang unserer Grundwerte. Mit dem Grundsatzprogramm von 2002 erklären wir den Aufbruch in eine grüne Welt von morgen.
16 Jahre ist das nun her, und wieder finden wir Grüne uns zusammen, um die programmatischen Weichen für das nächste Jahrzehnt zu stellen. Mit einer neuen Parteispitze und einem neuen Beteiligungsformat versuchen wir, gemeinsam neue Wege in der Programmdebatte zu beschreiten. Dabei bieten uns die drei bisherigen Grundsatzprogramme wunderbare Anknüpfungspunkte. Wir Grüne waren bei jedem unserer bisherigen Programme äußerst kreativ, sowohl in Form als auch beim Inhalt. Das wünsche ich mir auch für das neue Grundsatzprogramm, das wir zu unserem 40. Parteigeburtstag im Jahr 2020 verabschieden wollen. Wir sollten Neues wagen, auch in Form und Stil. Denn neue Zeiten brauchen neue Antworten.