„So wie wir die Gesellschaft verändert haben, hat die Gesellschaft uns verändert“
30 Jahre BÜNDNIS 90 und 40 Jahre DIE GRÜNEN – am 10. Januar haben wir in Berlin mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und vielen Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern ein doppeltes Jubiläum gefeiert. Neben Schlaglichtern auf unsere bewegte Parteigeschichte von unter anderem Joschka Fischer, Marianne Birthler und Hans-Christian Ströbele richtete sich der Blick nach vorne: 2020 soll für die GRÜNEN das Jahr der Bündnispartei werden. Mit Rekordmitgliederzahlen und steigenden Zustimmungswerten geht es darum, Politik für die Breite der Gesellschaft zu machen.
Aufrüstung, saurer Regen und neu geplante Atomkraftwerke – Deutschland Ende der Siebzigerjahre bot viel Anlass zur Sorge, aber politisch keine Alternativen zu Union, SPD und FDP. So kam es, dass sich Menschen ganz verschiedener politischer Richtungen zusammen fanden, um eine solche Alternative zu schaffen. Sie stammten aus Umweltverbänden, der Friedens- und Anti-Atom-Bewegung, Dritte-Welt-Gruppen und Fraueninitiativen und gründeten 1980 die GRÜNEN.
Drei Jahre später gelang der Einzug in den Bundestag. Für die anderen Parteien waren Petra Kelly, Joschka Fischer & Co. eine Zumutung und gleichzeitig eine Frischzellenkur: Plötzlich beschäftigte sich der Bundestag mit Ökolandbau und nachhaltigem Wirtschaften, der Entschädigung von Zwangsarbeitern und Vergewaltigung in der Ehe. Doch bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl 1990 scheiterten sie am Wiedereinzug in den Bundestag. Anders BÜNDNIS 90: Der Zusammenschluss von Bürgerbewegungen und Oppositionsgruppen in der DDR zog in den Bundestag ein. Kurz darauf schlossen sich erst West- und Ost-GRÜNE zusammen und 1993 schließlich GRÜNE und BÜNDNIS 90.
Bundesweit in Regierungsverantwortung kamen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schließlich 1998 in einer Koalition mit der SPD. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der von 1999 bis 2005 während der rot-grünen Regierung Chef des Bundeskanzleramtes war, erinnerte sich in seiner Festrede bei den Feierlichkeiten am 10. Januar vor rund 1000 Gästen im Berliner Motorwerk: Die GRÜNEN hätten in der rot-grünen Bundesregierung Verantwortung übernommen und mussten schmerzhafte Kompromisse eingehen, zum Beispiel beim Ausstieg aus der Kernenergie. Heute trügen sie Verantwortung in elf Landesregierungen und koalieren mit ganz unterschiedlichen Partnern.
Der Kompromiss gehöre inzwischen zum grünen Alltag, doch: „Wer auf die Geschichte der GRÜNEN blickt, kann eine weitere Lehre kaum übersehen: Im politischen Wettbewerb tut es gut, bei aller Fähigkeit zum Kompromiss, sich treu zu bleiben.“, so Bundespräsident Steinmeier. Keine Idee hätte die Politik der GRÜNEN über vier Jahrzehnte so sehr geprägt wie die Ökologie. Doch sie sei für die GRÜNEN mehr als Umweltpolitik. Es gehe den GRÜNEN bis heute um eine Veränderung der gesamten Gesellschaft, weg von der Zerstörung ihrer eigenen Lebensgrundlagen hin zu mehr Nachhaltigkeit in allen Lebensbereichen, hin zu mehr Demokratie und Gleichberechtigung.
In seiner Begrüßung betonte Robert Habeck, dass das BÜNDNIS 90 immer aus dem Zentrum der Gesellschaft gedacht habe. Der Zusammenschluss aus den DDR-Bürgerrechtsbewegungen Neues Forum, Demokratie jetzt und Initiative Frieden und Menschenrechte habe die Partei zu dem gemacht, was sie heute ist: „Wir sind heute mehr Bündnispartei denn je. Die Brüche in unserer Geschichte haben uns stark gemacht, auf die Kontinuitäten sind wir stolz.“
Annalena Baerbock blickte ebenfalls auf die Entwicklung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: „Diese Partei, wollte ja gar keine Partei sein. Sie wollte eine Anti-Parteien-Partei sein gegen das System. Heute verteidigen wir nicht nur auf der Straße, sondern in Parlamenten und Regierungen die Demokratie.“ In vielen Artikeln zum grünen Geburtstag würden die Fragen gestellt, ob die GRÜNEN sich treu geblieben wären, oder sie sich angepasst hätten. Annalena Baerbocks Antwort: „So wie wir die Gesellschaft verändert haben, hat die Gesellschaft uns verändert – und zum Glück nicht eingefroren vor 30 oder 40 Jahren.“
Jubiläumsfeier in Berlin
Nach der Begrüßung durch Annalena Baerbock und Robert Habeck sowie der Festrede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wurde auf der Jubiläumsfeier in drei Gesprächsrunden auf die bewegte Parteigeschichte zurück geblickt: Michael Kellner sprach mit Marianne Birthler und Lukas Beckmann über die grünen Gründungsjahre und den Vereinigungsprozess von BÜNDNIS 90 und Die GRÜNEN. Lukas Beckmann war Gründungsmitglied der GRÜNEN und Parteivorsitzender von 1984 bis 1987, die DDR-Bürgerrechtlerin Marianne Birthler erste Parteivorsitzende nach der Vereinigung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Es folgten Gespräche zwischen jungen GRÜNEN und grünen Urgesteinen: Robert Habeck interviewte Fridays-for-Future-Organisatorin Luisa Neubauer und Hans-Christian Ströbele; Annalena Baerbock die Vizepräsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landtags Aminata Touré und Joschka Fischer. Anschließend ging es zur Feier über, bei der es reichlich Gelegenheit gab, alte Geschichten auszutauschen und neue Pläne zu schmieden.