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Eine Europäische Nachrichtendienstagentur für ein sicheres Land

Die Angreifer auf unsere Demokratien sind oft vernetzt, sie agieren über Landesgrenzen hinweg. Auch die Abwehr dieser Gefahren kann längst nicht mehr rein nationalstaatlich erfolgen. Ein Plädoyer für eine Europäische Nachrichtendienstagentur von Omid Nouripour, Irene Mihalic und Konstantin von Notz.

Im August 2019 wird ein georgischer Staatsbürger aus nächster Nähe im Berliner Tiergarten erschossen. Die Tat wird russischen Geheimdiensten zugeschrieben. Ein Auftragsmord durch Geheimdienste eines anderen Staates mitten in der Öffentlichkeit, mitten in Berlin. Es ist einer von vielen Fällen, die zeigen, wie global vernetzt autoritäre Regime mittlerweile agieren. Seit langem warnen die Präsidenten der deutschen Nachrichtendienste eindringlich vor einer sehr weitreichenden Einflussnahme und anhaltenden Spionage durch China in Deutschland. Und die Repression von Andersdenkenden und Regimekritikern durch iranische Geheimdienste hat nach dem Beginn der landesweiten Proteste im Iran im September 2022 weiter zugenommen - auch auf europäischem Boden.

Internationaler Terrorismus, unter anderem von Islamisten oder Rechtsextremen, Wirtschaftsspionage, Angriffe auf Kritische Infrastrukturen, Organisierte Kriminalität, aber auch Desinformations- und Einflusskampagnen – diese Gefahren für unsere Sicherheit machen an nationalen Grenzen nicht halt. Zugleich hat nicht zuletzt der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg auf die Ukraine unsere Schwachstellen bei der IT-Sicherheit digitaler Systeme und Kritischer Infrastrukturen schonungslos offengelegt: Anschläge auf die Nord Stream Pipelines oder groß angelegte IT-Angriffe im Internet, die die Energieversorgung oder den Verkehr zum Erliegen bringen können, zeigen, dass unsere Infrastruktur extrem verletzlich ist. Die Enthüllungen der sogenannten „Vulkan-Files“ mit Informationen über russische Sabotage-Software offenbaren, wie systematisch Russland daran arbeitet, anderen Staaten durch solche Angriffe zu schaden. Wie tief der Einfluss autoritärer Systeme auf demokratiefeindliche Parteien und Bewegungen in Europa und Deutschland ist, lässt sich nur erahnen. So sind beispielsweise allerlei Kontakte Russlands zu rechtsextremen Parteien in Europa bekannt. Das verbindende Element ist die Ablehnung der demokratischen und pluralistischen Gesellschaft. Die Akteure also sind vernetzt, sie agieren über Ländergrenzen hinweg. Auf diese grenzüberschreitenden Gefahren muss zunehmend auch grenzüberschreitend geantwortet werden.

Es gilt, die Chancen Europas auf allen Ebenen zu heben, das heißt: europäische Zusammenarbeit nutzen, um unsere Demokratie zu schützen, unsere Sicherheit, unser Land zu stärken. Dafür maßgeblich ist eine verstärkte Zusammenarbeit der Polizei- und Sicherheitsbehörden unserer europäischen Demokratien, also auch der Nachrichtendienste als tragende Säulen einer wehrhaften Sicherheitsarchitektur. Bisher gibt es eine nachrichtendienstliche Zusammenarbeit vor allem auf informeller Basis. Um dies strukturell auszubauen, schlagen wir die Gründung einer Europäischen Nachrichtendienstagentur vor.

Durch die Gründung einer solchen Agentur können nationale Nachrichtendienste Informationen auf europäischer Ebene miteinander teilen, Bedrohungen frühzeitig erkennen und Maßnahmen noch stärker gemeinsam, eben grenzüberschreitend, abstimmen. Im polizeilichen Bereich kennen – und schätzen – wir mit Europol bereits eine ähnliche Zusammenarbeit. Für den Bereich der Nachrichtendienste könnten das bestehende europäische „Intelligence Analysis Centre“ (EU-INTCEN) und das „Intelligence Directorate of the European Military Staff“ (EUMS.INT) zusammengeführt und zur Nachrichtendienstagentur ausgebaut werden. Hierzu werden auch Investitionen in Personal und Ausstattung notwendig sein.

Die stärkere Vernetzung vereinfacht dabei nicht nur die europäische Koordination, sondern stärkt im Umkehrschluss auch die nationalen Nachrichtendienste. Denn wenn Wissen zusammengeführt und dadurch eigenes nachrichtendienstliches Aufkommen durch die Erkenntnisse anderer komplettiert wird, stärkt das die Analysefähigkeit aller. Das hilft wiederum, politische Entscheidungsträger auf nationaler und europäischer besser informieren und beraten zu können.

Selbstverständlich wird eine verstärkte nachrichtendienstliche Zusammenarbeit durch effektive und demokratisch legitimierte Kontrollmechanismen begleitet werden müssen, um rechtsstaatliches Handeln zu gewährleisten. Die Gründung einer europäischen Nachrichtendienstagentur erfordert klare Rechtsgrundlagen sowie eine effiziente Kontrolle. Umgekehrt müssen wir sicherstellen, dass eine verstärkte Kooperation mit klaren Anforderungen an rechtsstaatliches Handeln der Nachrichtendienste in den Mitgliedstaaten einher geht. So sichert die intensivere Zusammenarbeit gleichzeitig das Ziel, unsere Demokratien wehrhafter zu machen und unsere Rechtsstaatlichkeit zu schützen. Nicht zuletzt stärkt die Gründung einer eigenständigen Agentur in einem solch wichtigen sicherheitspolitischen Bereich auch die EU als Ganzes. Auf der globalen Bühne verhilft sie Europa zu mehr Souveränität und einer effektiveren Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.

Dass wir heute in einem demokratischen Rechtsstaat leben, gehört zu den größten Errungenschaften und ist keine Selbstverständlichkeit. Liberale demokratische Gesellschaften müssen wehrhaft sein und sich in einer globalen Welt, die immer mehr von nationalistischen und hegemonialen autoritären Staaten geprägt wird, behaupten. Dabei dürfen wir unsere Sicherheit nicht länger allein nationalstaatlich denken oder in die Hände anderer legen. Gerade in diesem Bereich haben wir das Potenzial europäischer Zusammenarbeit noch nicht voll ausgeschöpft. Ein starkes und geeintes Europa kann die Sicherheit geben, nach der sich so viele Menschen sehnen. Zweifelsohne werden auch die Nachrichtendienste eine wichtige Säule der europäischen Sicherheitspolitik sein: demokratisch legitimiert, effektiv und rechtsstaatlich kontrolliert.

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